Während des Corona-Lockdowns in Marokko
Der Corona-Lockdown hat viele Reisende getroffen und eine Weiterreise unmöglich gemacht. Während viele die sichere Flucht nach Hause unternommen haben, war dies für andere nicht möglich oder sie haben sich bewusst für eine Zeit an einem bestimmten Ort unter eigenen Sicherheits- und Hygienebedingungen entschieden. Die beiden Weltenbummler mit dem Exploryx-Fahrzeug „Milou“ reisen sehr viel und waren schon in allen Kontinenten mit ihrem Exploryx-Expeditionsfahrzeug unterwegs. Den Corona-Lockdown haben sie in Marokko verbracht und uns ihre Erlebnisse geschildert.
Corona-Gefangene in Marokko
Wir sind am 21. Januar in der Schweiz in Richtung Frankreich abgereist und haben mit der Fähre Nador im Norden Marokkos erreicht. Anschließend sind wir südwärts über Oujda in die Region von Figuig an die Grenze Marokko-Algerien gefahren. Mit unserem Marokko-Visum durften wir bis zum 30. April im Land bleiben.
Die ersten fünf Wochen verweilten wir vor allem ganz im Süden, mehr oder weniger an der algerischen Grenze entlang, fuhren auf Pisten (u.a. auch die Dakar-Pisten „Pistenkuh“, in Oasen, den Sanddünen – und das alles bei hochsommerlichem sonnigem Wetter.
Auf dem Weg Richtung Küste erreichten wir am 12. März den uns bereits bekannten Campingplatz „Le Jardin de la Khoudya“, angegliedert an eine Gemüsefarm mit Orangenplantagen, 70 km landeinwärts von Agadir (eigentlich ein „Camping à la Ferme“). Hier wollten wir ein paar Tage verweilen, um uns von Pisten-, Sand- und Dünenfahrten zu erholen, uns auszuruhen und mal wieder genügend Wasser zum Duschen zu haben und um dann Vorbereitungen für die Querung des Atlas-Gebirges, ebenfalls wieder entlang der Koordinaten der „Pistenkuh“, zu treffen.
Doch dann erreichte das Corona-Virus auch Marokko. Innerhalb von nicht einmal einer Woche wurden zuerst die Schulen geschlossen, am selben Abend ab 18 Uhr auch alle Cafès, Restaurants und Hammams im ganzen Land, am nächsten Tag bereits die Grenzen, sowie alle Geschäfte und Läden außer der Lebensmittelgeschäfte und Apotheken.
Am 20. März ab 18.00 Uhr durften wir die Fahrzeuge nicht mehr bewegen: ein totales Fahrverbot (inklusive der öffentlichen Verkehrsmittel) plus einer Ausgangssperre wurde angeordnet. Ausnahmen waren der Gang zum Einkaufen von Lebensmitteln und zur Apotheke oder ein Arztbesuch. Seitdem waren die Straßen fast leer und die Einheimischen verhielten sich mustergültig, mit Abstand zueinander vor den Läden. Die Vorschriften des Königs und der Regierung werden in Marokko strickt eingehalten.
Schon mit der Verordnung der ersten Maßnahmen haben wir beschlossen, dort zu bleiben. Der Campingplatz war nicht mal zur Hälfte belegt, bot große schattige Parzellen, täglich eine warme Dusche, Frischwasser in guter Qualität, WIFI im Garten des angegliederten B&B, einen Pool und die Möglichkeit Tajine oder Pizza zu bestellen. Wir waren insgesamt nur 11 Camper: 6 Franzosen, 1 Engländer, 1 Belgier, 1 Engländer, 1 Deutscher und wir Schweizer. Und – wir durften uns innerhalb des Geländes der Farm mit 85 ha Feldern und Plantagen frei bewegen; ein riesiges Privileg! Wir waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort… Denn wer schon in Marokko unterwegs war und die Campingplätze kennt, weiß auch, dass über 90% ummauert sind, um erstens die „privacy“ der europäischen Touristen zu garantieren und zweitens keine fliegenden Händler die Camper-Armada stört oder belästigt. Diese hohen Mauern entpuppten sich während dem Zwangs-Aufenthalt für die anderen Camper als eine Art „Gefängnismauer“. Mit den Wochen stiegen auch die Temperaturen und hinter den Mauern staute sich fortan die Sommerhitze – für tausende und abertausende Camper-Touristen ein fast unhaltbarer Zustand, dem es aber absolut kein Entrinnen gab. Viele beklagten sich bei den Behörden und der Polizei. Da hieß es aber: „entweder in ein Spital oder ausharren“.
Der Besitzer der Farm (ein Franzose) und seine Angestellten waren sehr nett, hilfsbereit, wir wurden gut informiert und fühlten uns wohl und sicher aufgehoben. Wie lange die Quarantäne jedoch dauern sollte, wussten wir im März noch nicht und wir hätten auch nicht im Geringsten gedacht, dass wir in dieser Oase drei volle Monate ausharren werden.
Das EDA (das Schweizer Auswärtiges Amt) war über unseren Aufenthaltsort ebenfalls informiert und hat uns auch über Repatrierungs-Flüge informiert, was jedoch für uns keine Option war: wir wollten nur mit Fähre und Fahrzeug ausreisen. Ende März wurden auch kurzfristig zwei Fähren von Tanger Med nach Sète angeboten, um vor allem, die am Hafen blockierten Camper zu evakuieren. Auf der zweiten Fähre am 2. April waren noch gut 200 Plätze frei, doch von unserem Campingplatz wollte auch niemand mitreisen; die Information war auch extrem kurzfristig (wir hätten über Nacht gut 1.100km bis an den Hafen zurücklegen müssen – ein Ding der Unmöglichkeit). Deshalb saßen wir die Quarantäne weiter aus – anderswo war es zu dieser Zeit auch nicht besser, denn wir haben von überfüllten kleinen Campingplätzen entlang der Küste in Richtung Hafen gehört, wo die Fahrzeuge Tür an Tür stehen und die Touristen die engen, ummauerten Areale nicht verlassen dürfen. „Open prisons“ haben unsere Engländer immer wieder betont. Schreckensmeldungen erreichten uns von Touristen, die am Flughafen festsaßen oder mit ihren Wohnmobilen am Hafen stecken geblieben sind; denn: einmal im Hafengelände, gibt es kein zurück mehr. Auch die Campingplätze entlang der Küste waren rammelvoll, vor allem von Franzosen, die so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren wollen.
Unser Lager-Leben im Süden Marokkos:
Am 15. März wurden die Grenzen für drei Wochen geschlossen. Wir durften aber noch nach Agadir (140km) zum Einkaufen, um unsere Vorräte im Supermarkt (Marjane/Carrefour) aufzustocken. Von Hamsterkäufen haben wir nichts gemerkt.
Am Vormittag konnten wir jeweils in den beiden kleinen Läden (eine Art „Mini-Kiosk“) vis-à-vis der Straße einkaufen. Das Angebot beschränkte sich auf lokales saisonales Gemüse, Bananen, Apfel und Orangen sowie täglich frisches Fladenbrot, Trinkwasser in Bidons, nebst den Grundnahrungsmitteln der marokkanischen Landbevölkerung – also sehr einfach, aber zum Überleben genügend.
Am 27. März wurde die Ausgangszeit nochmals verkürzt, d.h. von 9 bis 12 Uhr durfte das Areal verlassen werden, um über die Straße in den beiden kleinen Läden einzukaufen. Als Ergänzung zum Notvorrat im Milou, gab es abwechslungsweise Tomaten, Äpfel, Bananen, Zwiebeln, Zucchetti, Karotten und Orangen, Schachtel-Käse – Thunfisch in der Dose brachte unseren Menüplan auch nicht gerade auf Höhenflüge. Fleisch gab es ohnehin nur maximal einmal pro Woche; Fleischkauf außerhalb von Shopping-Centern ist für uns Europäer ein Problem.
Trotz sorgfältiger Einteilung, sind uns einige Sachen ausgegangen: gewohnte Gewürze, Kaffeepulver, Tee- und Kräutermischungen, Kaffee-Sahne, Wein, Pfeifen-Tabak, Schweizer Schokolade, Lesestoff, Sudoku, Kreuzworträtsel.
Schon Anfang April erreichten die Temperaturen die 33°C Grenze und Wochen später kletterten sie vereinzelt bis auf 46°C. Dank unserer gut isolierter Kabine haben wir (im Gegensatz zu den „normalen“ Womos) immer bestens geschlafen. Dreimal tobte auch ein heftiger Sandsturm.
Nebst dem riesigen Farm-Areal von 85 ha, welches wir täglich zum Wandern genutzt haben, konnten wir auch vom Camping-Pool profitieren. Im Umkreis des Farm-Hauptgebäudes gab es relativ gutes WiFi – unerlässlich für eine Verbindung zur Außenwelt und dem Geschehen und der Probleme in ganz Europa, die das Virus verursacht hat.
Die „Mitgefangenen“ Franzosen vergnügten sich täglich mit dem Nationalsport „Petanque“, das Engländer-Ehepaar übte von Zeit zu Zeit mit ihren Golfschlägern den Abschlag, die Belgier unternahmen ausgedehnte Spaziergänge auf dem Areal und wir Schweizer verbrachten viel Zeit beim Kartenspiel und Rumikub und viel Lesen. Zwischenzeitlich gab es auch mal einen Geburtstag zu feiern oder ein gemeinsames BBQ.
Nach zwei Monaten Lagerzeit erhielten wir eine polizeiliche Beglaubigung, dass wir im Nachbardorf (7 km pro Weg) zur Apotheke fahren dürfen. Nicht die Apotheke, aber der große Gemüsemarkt, eine Bank und eine relativ saubere Metzgerei waren dann unser Ziel.
Am 23. April erhielten wir die Information, dass die Grenzen bis 31. Mai geschlossen bleiben werden. Per Internet haben wir eine Fähre (GNV) von Tanger nach Barcelona für den 9. Mai reserviert und bezahlt. Von der Schweizer Botschaft erhielten wir die Erlaubnis von unserem Lagerplatz nach Tanger zu fahren (1.100km), von der spanischen Botschaft eine Beglaubigung durch Spanien zu fahren und von der französischen Botschaft eine Attestation, um durch Frankreich in die Schweiz zu gelangen – aber die Fährgesellschaft bekam keine Betriebserlaubnis! Am 11. Mai konnten wir dann eine Fähre von Tanger nach Sète reservieren. Bezahlten den Differenz-Betrag vom 9. Mai. Aber ein weiteres Mal war es eine Fehlinformation: Fähre verkehrt nicht!
Wir standen dann auf der Ausreise-Liste beim französischen Konsulat, bei der französischen Botschaft und der Schweizer Botschaft. Die Infos der verschiedenen Botschaften waren extrem unterschiedlich, was nicht gerade zur Verbesserung unserer Moral beitrug. Von der deutschen Botschaft erhielten wir die Mitteilung, dass wir ab 20. Mai wieder frei reisen dürften – eine weitere Fehlinformation.
Inzwischen gab es auch einen Todesfall unter der Schicksals-Gemeinschaft, was diverse Fahrten des Camping-Betreibers nach Agadir und einen Papierkrieg nach sich zog. So grotesk es erscheinen mag, aber wir Corona-Gefangene haben davon profitiert, da der Camping-Chef für uns kleine Einkäufe im Carrefour von Agadir auf dem Rückweg erledigen konnte – für uns alle war es wie „Weihnachten und Ostern zusammen“: Poulets, franz. Käse, Cornflakes, Pâté, spanischer Wein usw.
Am 8. Juni hatten wir endlich alle wichtigen Papiere und Dokumente zusammen, um die Fahrt nordwärts anzutreten – die Freiheit naht. Wir durften aber weder die Hauptstraße verlassen, noch irgendwo abseits übernachten. An sämtlichen Abzweigungen hat die Polize kontrolliert und überall wurden unsere Bewilligungen peinlich kontrolliert; es war wie ein Spießrutenlauf – und das über 1.100 km.
Die gebuchte, bestätigte Fähre für den 13. Juni war nirgendwo zu sehen, sollte aber am 16. Juni ablegen. Also suchten wir den nächstgelegenen Campingplatz (Martil am Mittelmeer, 75km vom Hafen entfernt) auf. Am 16. Juni herrschte frühmorgens am Hafen ein totales Chaos mit Hunderten von Campern und zahlreichen, die wieder aus dem Hafen rausfahren mussten. So auch wir – also wieder zurück nach Martil, wo uns aber die Einfahrt zum Camping verwehrt wurde, weil wir aus der roten Zone (dem Hafen) kamen. Es brauchte eine Bewilligung vom obersten Polizeidirektor und dem Bürgermeister. Vom Strand aus konnte man bei klarem Wetter schon den Felsen von Gibraltar erkennen.
Nach einem Monat Warten auf ein Schiff nach Europa in Martil haben wir noch zusätzlich Kontakt mit der deutschen Botschaft aufgenommen. Am 2. Juli haben wir tatsächlich telefonisch eine Zusicherung für einen Fährenplatz von Tanger nach Algeciras (vis-à-vis Gibraltar) erhalten – unwahrscheinlich aber wahr. Wir stehen dann in einer sehr langen Wohnmobil-Warteschlange und überstehen alle vier Kontrollposten. Sogar der deutsche Konsul wünscht uns persönlich eine gute Heimreise. Es gilt ein großer Dank der deutschen Botschaft – die deutsche Gründlichkeit machte es möglich.
Als wir dann gegen Mittag am Felsen von Gibraltar vorbeifahren riechen und spüren wir die große Freiheit und machen uns die Rückreise zu einer gemütlichen Ferienreise – lange haben wir auf solche Tage warten müssen. Am 15. Juli erreichen wir endlich gesund unser Zuhause wieder.
Unsere Freunde Tom und Evelyne, die uns auch mit einem Exploryx-Mobil durch Marokko begleiteten sind übrigens mit dem letzten Rückflug der Schweizer Botschaft Ende März von Marrakech in die Schweiz zurückgekehrt. Ihr Exploryx-Fahrzeug haben sie auf einem Campingplatz in Marrakech zurück gelassen. Fast sechs Monate stand ihr Fahrzeug in Marrakech und Tom musste einen enormen Aufwand an Papierkrieg und Gesundheits-Tests bewältigen, ehe die beiden erst im Oktober 2020 ihr Fahrzeug aus Marokko ausführen konnten über die Fähre von Tanger nach Genua (sie seien praktisch die einzigen Touristen in Marokko gewesen). Ihr Fahrzeug hatte keine Schäden, war diesbezüglich gut aufgehoben.
Erzählt von Edwin und Regula Schafer